Verwaltungsbezirk | Burglesum |
Ortsteil | Burgdamm und Lesum |
Postleitzahl | 28717 |
Querstraßen | Am Radeberg Käthe-Kollwitz- Straße Am Mönchshof Schneiderstraße Alter Schulhof Lesumer Brink Krudopsberg An der Lesumer Kirche Stehnkenshoff Im Pohl Am Heidbergstift Bremer Heerstraße Bremerhavener Heerstraße Stader Landstraße |
Straßentyp | Verbindungsstraße |
Straßenlänge | rund 1.200 Meter |
Die Straßennamen eines Stadtteils gewähren einen Einblick in verschiedene zeitliche Epochen nationaler wie auch heimatlicher Geschichte. Sie sind unter anderem benannt nach Tieren und Pflanzen, früheren örtlichen Begebenheiten oder nach Persönlichkeiten des zeitgeschichtlichen Lebens.
„Die Straßen in einer Stadt sind ein Spiegel verschiedener Zeiten. Sie bilden auch die Untiefen der Geschichte ab“, wird Prof. Dr. Konrad Elmshäuser, Archivleiter des Bremer Staatsarchivs, im Januar 2020 im Weser-Kurier zitiert. Und damit liegt er wohl richtig. Im Fortgang der zeitlichen Geschichte kommt es immer wieder vor, dass namensgebende Personen vor dem Hintergrund einer aktualisierten, neueren und moderneren Sicht in anderem Lichte erscheinen. Mit heutigem Blick auf die Geschichte stellt sich ggf. heraus, dass ihre Rolle in der Vergangenheit zumindest umstritten war. Dies gilt auch für den früheren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Die frühere „Chaussee“ im Herzen unseres Stadtteils wurde 1933 nach ihm benannt. Sie behielt ihren Namen auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als viele der im Dritten Reich vergebenen Namen nationalsozialistischen Ursprungs wieder verschwanden.
So lang und so verschlungen die Straßenführung, so lang, ereignisreich und aus heutiger Sicht auch umstritten verlief das Leben Paul von Hindenburgs.
Es folgt ein kurzer Abriss seines Lebens. Für historisch Interessierte, die mehr wissen möchten, verweise ich auf den Wikipedia Eintrag zu ihm sowie auf die Biografie von Wolfram Pyta.
Paul von Hindenburg wird 1847 in Posen geboren. In seiner militärischen Laufbahn gelingt ihm eine schnelle und steile Karriere. Mit der erfolgreichen Schlacht bei Tannenberg wird er zunächst zum Generaloberst, in späteren Jahren zum Generalfeldmarschall befördert; er erhält diverse Auszeichnungen und Orden.
Nach dem Ende des Krieges und dem Abschluss des Versailler Vertrages entlässt Reichspräsident Ebert Hindenburg auf eigenen Wunsch aus dem Dienst. Im Untersuchungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung zur Schuldfrage des Weltkrieges verbreitet er die Dolchstoßlegende. Demnach sei das deutsche Heer im Felde unbesiegt geblieben, jedoch von streikenden Arbeitern, pazifistischen
Sozialdemokraten und Kommunisten aus der Heimat untergraben, verraten und damit um den Sieg gebracht worden. Die Auswirkungen dieser Legendenbildung für die Politik der Nazis waren beträchtlich.
Im Jahre 1925 wird von Hindenburg zur Kandidatur zum Reichspräsidenten überredet und mit absoluter Mehrheit gewählt. 1932 erfolgt seine Wiederwahl für weitere sieben Jahre.
Trotz anfänglicher Abneigung Hindenburgs gegen Adolf Hitler ernennt er diesen 1933 zum Reichskanzler. Zwei Tage nach dem Amtsantritt der neuen Regierung ruft er am 01. Februar 1933 Neuwahlen aus. Das demokratisch gewählte Parlament ist damit außer Kraft gesetzt. Der Reichspräsident erlässt am 04. Februar die sogenannte Notverordnung „zum Schutze des Deutschen Volkes“. Damit werden zunächst die Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit massiv eingeschränkt. SA und SS gehen gegen politische Gegner der Regierung vor und müssen keinerlei Strafen fürchten – die erste Lizenz zum Terror.
Als es Ende Februar zum Reichstagsbrand kommt, gibt es einen weiteren Erlass von Reichspräsident Paul von Hindenburg. Mit der „Reichstagsbrandverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ werden zusätzlich die Grundrechte der Menschen, also die Freiheit der Person, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Briefgeheimnis usw. außer Kraft gesetzt.
In den Wahlen am 05. März 1933 erringt die NSDAP wieder nicht die absolute Mehrheit. Nach Ausschaltung der KPD, „denen im Übrigen die Mandate durch Verordnung entzogen worden sind“, bringen die Nazis das Ermächtigungsgesetz durch das Parlament, weil alle anderen Abgeordneten bis auf die durch Verhaftungen und Flucht dezimierte SPD-Fraktion zustimmen. Das Parlament löst sich damit faktisch selbst auf. Die Regierung kann zukünftig ohne Einbeziehung des Parlamentes Gesetze erlassen. Auch eine Zustimmung des Reichspräsidenten ist für die Einführung neuer Gesetze fortan nicht mehr erforderlich. Damit beginnt, scheinbar legal und auf demokratische Weise legitimiert, die Diktatur der Nazis.
Alles passiert nicht nur unter den Augen, sondern mit ausdrücklicher Zustimmung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Dieser wird vor der Wahl im März 1933 mit der Aussage zitiert, er freue sich auf den Sieg der Rechten, da er von da an keine der von ihm so verhassten Wahlkabinen mehr betreten müsse.
Hitler und Hindenburg wollen die Demokratie abschaffen und das ist ihnen in den ersten sechs Monaten des Jahres 1933 gelungen. Paul von Hindenburg wird damit zum Steigbügelhalter der Nazis zu deren Machtergreifung der. Zur gleichen Zeit erhält unsere Chaussee den Namen Hindenburgs.
Auch im Rahmen des sogenannten „Röhm-Putsches“ ist die Position des Reichspräsidenten unter Historikern nicht unumstritten.
Mit dem Tode Paul von Hindenburgs im August 1934 vereint Adolf Hitler, wie von Hindenburg in seinem politischen Testament gewünscht, die Funktionen des Reichspräsidenten und die des Reichskanzlers in einer Position („Führer und Reichskanzler).
Bei der vorgenannten Beurteilung ist zu bedenken, dass wir dies in ausdrücklicher Kenntnis der weiteren Geschichtsentwicklung tun. Im Jahre 1988 versuchte eine Initiative der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD (Jusos) aus Burglesum, eine Umbenennung der Hindenburgstraße zu erwirken. Der Heimatverein Lesum votierte seinerzeit für einen Erhalt des Namens. Auch heute wird trefflich über eine mögliche Umbenennung in unserem Stadtteil diskutiert. Und nicht nur hier. Viele andere Städte und Kommunen beschäftigen sich ebenfalls mit dieser Frage. Berlin hat erst Anfang des Jahres Paul von Hindenburg von der Ehrenbürgerliste der Stadt gestrichen. Wenngleich es den Hindenburgdamm in der Stadt weiterhin gibt.
Deutschlandweit sind 60 weitere Straßen nach dem ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg benannt (Hindenburgstraße, Hindenburgring, Hindenburgdamm, Paul-von-Hindenburg-Straße). Seit 1945 haben insgesamt 39 von 98 Städten Paul von Hindenburg die Ehrenbürgerschaft wieder entzogen.
Einen Verweis auf das Leben von Paul von Hindenburg und hier insbesondere seiner politischen Rolle in der Zeit der Weimarer Republik, durch sichtbare Hinweise an den Straßennamensschildern, halte ich für angemessen und wünschenswert. Dies haben andere Städte zum Beispiel durch das Anbringen von QR-Codes und entsprechender Verlinkung zu Informationen auf eine Internetseite bereits vorgemacht.
Erschienen in: Lesumer Bote Nr. 108
Quellen:
Bremer Anzeiger, 19.10.1960, Lesums Straßennahmen im Spiegel der Geschichte, Hindenburgstraße, Friedrich Kühlen
Die Norddeutsche, 16.05.1988, Heimatverein gegen Umbenennung, Bezeichnung Hindenburgstraße mit Lesum gleichgesetzt
Freie Hansestadt Bremen, Amt für Straßen und Verkehr
Juso AG Burglesum, Broschüre, Straßenumbenennungen in Lesum und St. Magnus, Oktober 1988
Staatsarchiv Bremen, Signatur 4.135/2, 511
Weser-Kurier, 22.01.2020, 5.000 Straßen analysiert, Bremens Straßen: Männer, Blumen und ein paar Nazis
Wikipedia, Liste von Hindenburgstraßen, abgefragt 25.09.2020, https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Hindenburgstra%C3%9Fen
Wikipedia, Paul von Hindenburg, abgefragt 24.09.2020, https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_von_Hindenburg
Wikipedia, Paul von Hindenburg als Ehrenbürger, abgefragt 01.11.2020, https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_von_Hindenburg_als_Ehrenb%C3%BCrger
Literaturempfehlung:
Wolfram Pyta, Hindenburg, Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, Pantheon Verlag